Peter Gahn
offene Stege
Shamisen solo
(mit Nohtanz) (2003)
15 min
Noh-Choreographie: Reijiro Tsumura
Auftrag des Shamisenfestivals in Tokyo 2003
Edition Juliane Klein
GEMA-Nr: 7973841
Aufführungen
- UA: Katsuyoshiju Kineya (Shamisen) und Reijirô Tsumura (Noh), Tokyo Metropolitain Art Space, Japan 2003
- DE: Minako Kikutama, EKÔ-Haus Düsseldorf 2004
- Weitere Interpreten: Kazuko Takada, Reiko Miyake
- Weitere Aufführungsorte: OAG-Halle, Tokio, Tachikawa Performing Arts Festival Tokio, Cultural and Information Center of the Embassy of Japan in Belgium
Reijirô Tsumura (Noh), Reiko Miyake (Shamisen) Tachikawa
Performing Arts Festival ©Jan Verbeek 2003
Programmtext
"offene Stege" ist die Beschreibung einer Möglichkeit einer
Begegnung verschiedener Welten. Es ist der Moment einer Begegnung von Noh und
Shamisen, die in Japan in völlig getrennten Welten parallel existieren und
nichts miteinander zu tun haben. (Noh ist die Bühnenkunst die vom
Kriegeradel gefördert und rezipiert wurde, während Shamisen als Instrument
des Bürgertums, der Geishas bis hin zu obdachlosen reisenden Bettelmusikern
als eher vulgär angesehen wird. Obwohl z.B. die später entstandene
bürgerliche Theaterform "Kabuki" viele Stoffe aus dem Nohtheater
weiterverwendet, gibt es keinen Einfluss von Musik des Kabuki auf das
"erhabene" Noh.) Und es ist eine Begegnung zwischen der japanischer Kultur,
dem Komponisten aus Deutschland und der europäischen Kultur in Form der
Situation der Aufführung als Konzert.
Stege sind aber nicht nur Wege zum Neuen, sondern verstärken auch ebenso die
Abstände zwischen den beiden Seiten. Ausserdem erfährt man waehrend des
Überschreitens der Stege, wenn man sich aus der Ebende herausgehoben auf
Ihnen befindet, eine neue Perspektive zum bisherigen Weg und zu beiden
Seiten. Ein Steg kann also sowohl zu etwas Neuem fuehren, das Befinden auf
dem Steg an sich ist aber auch schon etwas Neues. Diese Funktionen kann man
besonders auf Stegen, Brücken in japanischen Gaerten erleben.
Es gibt auch Stege, z.B. am Meer, die nur von einer Seite her begehbar sind,
während die andere Seite offen ist, nicht verbunden. Auf solchen Stegen kann
man sich aus seiner eigenen Umgebung, z.B. dem Strand, entfernen und so eine
neue Perspektive auf sie bekommen und begibt sich gleichzeitig zu dem neuen,
fremden Element, z.B. dem Meer, hin, befindet sich ueber, neben und vor
diesem, aber wird nie in diesem neuen Element ankommen. (Es sei den man
springt ins Wasser, oder es legt ein Boot an, was einen zu neuen Ufern
bringt, wobei das Wasser eine Stegfunktion bekommt.)
Inspiriert wurde dieses Stück vor allen Dingen durch den Steg "Hashigakari"
und seine Funktion und Benuztung im Nohtheater. Dieser Steg ist zwischen dem,
durch eine Vorhang getrennten Vorbereitungsraum der Mitwirkenden und der
eigentlichen Bühne. Er wird in zwei Bedeutungen benutzt: Einen Weg, eine
geographische Entfernung darstellend, oder den Weg zwischen der hiesigen und
der jenseitigen Welt. Haeufig spielt ein Grossteil der Handlung auf diesem
Steg, es dauert z.B. mitunter 15 bis 20 Minuten, bis der Hauptdarsteller
diesen überschritten hat.
Einen ganz andere Bedeutung von Steg ist der Steg bei den Saiteninstrumenten,
auf dem Saiten liegen. Beim oberen Steg des Shamisen ist die Stelle, ueber
der die tiefste Saite führt, offen gelassen, so dass ein fuer das Shamisen
typische geraeuschhafter, schnarrender Ton entsteht. Dieser Klang zeigt eine
Verbindung zwischen den künstlichen Klängen der menschlichen Musik und der
Natur mit ihren Geräuschen.
Im Stück "offene Stege" sind zwei einzelne, aus ihrer Umgebung
herausgelöste Menschen auf der Bühne:
Eine Shamisenspielerin, ohne das sie sonst umgebende Ensemble von Trommeln
und Saenger und ohne die Kabukischauspieler, die sie mit Ihrer Musik
unterstützen sollte, und ein Nohschauspieler, ohne seinen Gegenpart "Waki",
der ihm immer gegenübersteht und ohne das begleitende Ensemble. Zwischen
diesen beiden Menschen ist der Raum des Ortes, der durch die Choreographie
variiert wird und die Musik, die sich auf verschiedenen Orten zwischen beiden
Elementen befindet.
Diese Musik benutzt keine konkreten Elemente aus der traditonellen Shamisen-
und Nohmusik, sondern ist in einer davon herausgeloesten Perspektive, in
einer abstrakten Ebene, denn sonst waere es kein Steg, sondern eine
Verschmelzung der beiden Elemente. So ist "offene Stege" eine Möglichkeit
der Annäherung, die von den Rezipienten nur aktiv wahrnehmend erfahren
werden kann.
(Peter Gahn)